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Sonntagvormittagsimpressionen

Ein völlig frei erfundenes (Ver-)Stimmungsbild

Die zwei Lockenwickler am Pony ziepften ein wenig, als sie sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn wischte. ’Umsonst geduscht’, dachte sie ohne große Verwunderung. Das Tumultgeschrei im Kinderzimmer schwoll auf Orkanlautstärke an, und sie registrierte ganz nebenbei, daß es sich diesmal - streitobjektmäßig - um das letzte verfügbare Paar weißer Socken handeln mußte. Der Frühstückstisch sah aus, als hätte jemand den Kühlschrank samt Mülleimerinhalt und der vollständigen Geschirrkollektion darübergekippt und zu guter Letzt, sozusagen noch als Sahnehäubchen obendrauf, das Gesamtkunstwerk mit Wurstpelle und Eierschalenstückchen verziert. Es machte sich optisch sehr gut, und die Kababecher- und Honigglasränder auf der Tischplatte verschafften dem Ganzen einen gewissen Halt. Da riß sie plötzlich eine freudige Stimme, die zweifelsohne zu dem ihr angetrauten Göttergatten gehörte, aus ihrer Lethargie.

"Liebling", (tirili ...) "passen die Socken zum Hemd?", flötete es herzzerreißend frisch aus dem Schlafzimmer.

"Ich kann um Ecken sehen", konterte sie mißmutig und stolperte dabei mit dem vollbepackten "dann-räum-ich-den-Tisch-halt-selber-ab-wenn’s-sonst-keiner-macht-Tablett" in die Küche. ’Ich hätt’s wissen müssen’, dachte sie mit einer langsam aufsteigenden Gänsehaut des Grauens im Genick. ’Ich hätt’s wissen müssen ..!’ Von nun an verfolgte sie ein Wesen, behängt mit Socken, Krawatten und Hemden: von der Küche ins Wohnzimmer, vom Wohnzimmer in die Küche, von der Küche ... und sprach zu ihr mit der samtigen, liebreizenden Stimme ihres Mannes:

"Soll ich das Gestreifte nehmen und die fliederfarbenen Socken, oder riecht das Hemd? Ich hatte es gestern schon an." Ein paar Streifen nahmen ihr plötzlich die Sicht, und sie konnte gerade noch die Arbeitsplatte mit dem Tablett treffen.

"Es riecht nach Veilchen", tönte sie teilnahmslos mit dem ihr seit vielen Jahren eigenen lebensnotwendigen Zynismus. Das Wesen meinte gekränkt, sie nehme es nicht ernst. Ein sanftes Lächeln der Weisheit huschte ihr über das von ständigen Kompromissen gezeichnete, grünlich fahle Gesicht, und sie fragte sich, wen oder was sie wohl noch alles ernst nehmen solle ...

"Zieh’s an", giftete sie gehässig, "dann passen wir geruchsmäßig zusammen! Ich hab mich auch umsonst gewaschen!"

Mosernd, bruddelnd und unverständliche Unsachlichkeiten vor sich hinnuschelnd, drehte der Socken-Hemdenständer ab und zog beleidigt einige Krawatten hinter sich her. Inzwischen war das Geschrei im Kinderzimmer so angeschwollen, daß ein Eingriff an dieser Front mehr als dringlich wurde, wollte man einen - von der Nachbarschaft herbeigerufenen - Feuerwehreinsatz verhindern. Der Raum, in dem sich die Blagen schlugen, besaß den Charme einer Müllsortierungsanlage. Die beiden Schreihälse, die mitten im Tohuwabohu saßen, hatten jeweils einen weißen Socken an, wobei ein jeder am Fuß des Gegners zog und mit Kampfgeschrei versuchte, diesen mürbe zu machen (... den Gegner, nicht den Socken! Obwohl ...) Sie bahnte sich einen Weg durch das Gewühl und versuchte, hoffnungsvoll und unverzagt, die Schranktür zu öffnen. Als sie dieses Wunder einen Spalt breit vollbracht hatte, griff sie hinein, holte zwei Paar buntgemusterte Teile ans Tageslicht und gab sie ihren Nachkommen mit den Worten: "Die werden jetzt angezogen - und die weißen konfisziert!" Sprach’s, schnappte sich die begehrten Streitobjekte, bevor ihre Worte richtig verstanden worden waren, stürmte, so schnell sie ihre Gesundheitslatschen trugen, zur Tür, schloß diese hinter sich und lehnte sich schweratmend dagegen.

"Überraschungsmoment perfekt genutzt", triumphierte sie für einen Moment erleichtert und schlurfte dann mit müden Schritten zur Badezimmertür. ’Verschlossen....’, dachte sie ohne den Hauch eines Erstaunens und hörte auf der anderen Seite, im Reich der Tiegel und Cremetöpfe, brummeliges Rasierapparatgeschnurre und fröhliches Pfeifen.

"Ich laß mir einen Bart stehen", dachte sie teilnahmslos und schob ihren leicht vernachlässigten Luxuskörper am Spiegel in Richtung Küche vorbei. Dabei erstarrte sie zur Salzsäule, als sie den nicht wiedergutzumachenden Fehler beging, in selbigen einen Blick zu werfen. Eine komische Figur mit zwei bunten Röllchen auf dem Kopf, die in einem grauen Sack steckte, blickte sie gequält an. Sie legte den Kopf ein wenig schief, was ihr den Anschein leichten Schwachsinns verlieh. Ihre Augen glänzten irr, und sie vernahm nur ganz im Hintergrund so etwas wie: "Die Socken hab’ ich zum Geburtstag gekriegt - nee, die sind dir zu klein!".

Sie beschloß, ins Kloster zu gehen. "Auf die Lockenwickler werde ich dann allerdings verzichten müssen", dachte sie melancholisch und hörte, wie sich die verheißungsvolle Tür öffnete. ’Wieder zu spät’, war ihr Gedanke, als ein Einsockenträger blitzartig an ihr vorbeipfiff und im Bad verschwand.

Sie bemerkte so ganz nebenbei, wie eine Aftershavewolke an ihr vorbeistolzierte, in die ein schöner Prinz gehüllt war, und konnte sich nicht erinnern, diese Märchengestalt jemals am Wochenende hier gesehen zu haben. Meistens begegnete ihr da - und am Feierabend - eine löchrige Trainingshose, ein Punker-T-Shirt sowie eine Knoblauchfahne auf Beinen. Ja, manchmal erschien ihr der Anbetungswürdige in ihren Träumen. Die Tür öffnete sich dann, und der Schöne brüllte dann so etwas wie "Tschüß, ich geh jetzt!" Aber sonst? Gedankenverloren blinzelte sie ihm nach und mußte mehrmals herzhaft niesen, was die zwei Wickler auf ihrem Kopf veranlaßte, vor Freude zu tanzen. Sie hatte sich zu lange dem Niesanfall hingegeben, denn in der Zwischenzeit lösten die kleinen Wichtel mit den zweierlei Strümpfen einander im Waschraum ab. Ihre Kräfte ließen nach, und sie rutschte mit ihrem geschundenen Rücken an der Wand zu Boden, wo sie traurig und schutzsuchend ihr müdes Näschen in ein Papiertaschentuch grub. Als sich die verheißungsvolle Pforte ins Verschönerungsparadies endlich wieder öffnete, und ein Haufen Kinderbeine über sie stolperten, überlegte sie ernsthaft, ob sie robben sollte. Doch wozu? Wozu? Im Türrahmen erschien der Vater ihrer Kinder, strahlend und bepackt mit Photokoffern in diversen Größen, und fragte freudig erregt:

"Hast du Brote gerichtet zum Mitnehmen? Und ’was zu trinken?

Also wegen mir können wir gehen!"

Sie legte sich ihrem Herrn und Gebieter sanft zu Füßen, ihr Kopf sackte demutsvoll nach unten, wobei sich der hellgrüne Haftlockenwickler sofort unlöslich mit dem Teppichboden vereinte.

Und sie bat darum, nie mehr aufstehen zu müssen.

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